Dienstag, 17. Februar 2015

All is full of Love

Fast hätte ich es überhört. Das Wort fiel auch nur ein einziges Mal in der achtstündigen Sondersitzung des Universe of Hybris.

UoH erklären sich die Welt

Wie immer, um die Jahreswende, kommt es zu einem fruchtbaren Zusammentreffen weit verstreuter Sympathisanten des UoH. Die Gesprächsreihen finden im luxurösen Landhaus von Tony Lamento statt, der ja in der Zwischenzeit zu einem erfolgreichen Unternehmer geworden ist. Wenn sie der Ruf des Schweinehirten ereilt, lässt die Gemeinde ihre gewohnten Aktivitäten ruhen und pilgert aus allen Himmelsrichtungen ins Hauptquartier des UoH. Statt Weihrauch und Myrrhe bringen sie Alkohol und Zigaretten, hastig gepackt, in billigen und übel beleumundeten Plastiksackerln. Trinkend und rauchend wird auch die Nacht bestritten. Nur die körperliche Erschöpfung erzwingt den Rückzug aus dem Konferenzraum.

Bevor die zersetzende Wirkung des Alkohols, den als Ausklang gedachten Liederzyklus ( eine, auf Publikumswunsch neu hinzugekommene Kategorie ) zum vorzeitigen Einsturz brachte, gab es heftige Schlagabtausche in den einzelnen Debatten der angebotenen Workshops. Obwohl ich mich schon beim Thema "Religion" auf abschüssiges Gelände begab und prompt mit "Houellebecq" abrutschte, stemmte ich mich im Arbeitskreis "Richtig Reisen" erneut mit einer Bemerkung gegen den "mainigen" Strom. Es schien mir absurd die Strapazen einer Reise auf sich zu nehmen, nur um irgendwo persönlich anwesend zu sein. Welcher Grund veranlasst den Wunsch, vor Ort, die Artefakte oder Naturphänomene zu betrachten? Warum, dabei fasste ich Ulan in den Blick, fährst du nach München, in die Pinakothek? Und nun kam, nach kurzer Überlegung und auch etwas verhalten, dieses Wort: Liebe. In der weiteren Diskussion ging es sofort wieder verloren, wurde auch nicht mehr aufgegriffen, aber merkwürdigerweise blieb es aufdringlich in meiner Erinnerung und beschäftigte mich noch Tage später. Gemeint war ja nicht die Liebe zur Pinakothek, sondern dieses zwischenmenschliche Phänomen, welches die Geworfenheit in diese Welt, um vieles erträglicher macht. "All is full of Love", singt schon Björk und dieser übermäßige Einsatz des Wortes Liebe lässt mich in der Regel argwöhnisch und kaltschnäuzig werden. Aber es war etwas anderes, es war die Art und Weise, wie es auf den Tisch kam und mich nachdenklich machte.

Die Aufarbeitung dauerte, aber sie kam.
Es war dann meine Frau, die mich bat einen Film auszuwählen, der ohne Tschin Bumm, Waffen, Explosionen, Gewaltexzessen und Herbirnereien auskommt, daher wählte ich unentschlossen das Regiedepüt von Philip Seymour Hoffman aus dem Jahr 2010: Jack in Love, OF: Jack goes boating.



Hoffman, der am 2.2.2014 an einer Überdosierung eines Drogencoctails verstarb, verfilmte ein Off-Broadway Stück, in dem er einst selbst mitspielte. Es erzählt im  unaufgeregten Ton die  Geschichte zweier New Yorker Paare; von Jack und Conny, wie sie zueinander finden und die von Lucy und Clyde, deren Beziehung sich dazu synchron auflöst. Mit Nachdruck wurde mir der Verlust von Philip Seymour Hoffman deutlich, der in der Darstellung des Jack einen schauspielerischen Parforceritt vollführt und in diesem Film zeigt, was für ein schwieriges Unterfangen es in Wirklichkeit ist, sich jemanden anzunähern und zu vertrauen. Unwillkürlich erinnert er an die längst verdrängte eigene Geschichte der Unzulänglichkeiten, Unsicherheiten und dieser unerträglichen Verletzlichkeit. Diese Ausgeliefertheit zeigt Hoffman sehr eindringlich, wenn Jack im Hallenbad mit Badehaube und Schwimmbrille das Schwimmen lernt. Ängstlich und völlig hilflos, mit seinem weissen massigen Körper und rot geflecktem Gesicht, setzt er sich schutzlos unserem Blick aus.

Und hier schließt sich der Kreis. Es war dieser kurze, scheue Blick mit dem Ulan das Wort "Liebe" aussprach. Für einen Sekundenbruchteil erfasste ich das Fehlen jeglicher Ironie und Abgeklärtheit. Aber nicht Naivität schwingte mit, sondern eine ungewöhnliche Bestimmtheit. Eine "petite perception", wie Leibnitz sagen würde, die feine Haarrisse in meiner Abwehr verursachte und die dann Hoffman endgüldig aufsprengte.

Vielen Dank auch, denn Dank dieser plötzlichen Feinfühligkeit überhörte ich nicht das wunderbare "Peace piece", von Bill Evans, das den Nachspann begleitete.







Freitag, 24. Oktober 2014

Freitag, 26. September 2014

Gütesiegel - Qualitätszertifikat


Endlich ist es da! Das Universe-of-Hybris-Zertifikat für Kulturgüter. Nach langer Projektdauer, in der unzählige Stunden damit verbracht worden sind, die Kriterien zu bestimmen, mit denen unser Gütesiegel in Verbindung gebracht werden darf, ist es nun vollbracht.



Die Vergabe des UoH-Qualitätszertifikat wird von unabhängigen Stellen durchgeführt und ist semi-transparent. Der Vergabeprozess orientiert sich am von Herodot beschriebenen Prüfverfahren der alten Perser:

"Wenn sie stark trinken, pflegen sie die wichtigsten Dinge in Beratschlagung zu ziehen; was ihnen aber in dieser Beratschlagung gefällt, das trägt ihnen des folgenden Tages der Herr des Hauses, in welchem sie sich miteinander bereden, wieder vor. Gefällt es ihnen alsdann auch noch, wenn sie nüchtern sind, so richten sie sich darnach; gefällt es ihnen nicht, so lassen sie es gehen. Was sie aber nüchtern vorher beratschlagt haben, das untersuchen sie bei dem Trunke von neuem."
 

Herodot, ca. 450 v. Chr., Von den Persern weiß ich.

So ist vor allem garantiert, dass die Zertifikatsvergabe einer permanenten Reflexionsschleife zugeführt ist, in der auch eine Aberkennung denkbar ist.

Das Gütesiegel garantiert folgende Kriterien:

Kein hochgestochener Scheiß
 

Irgendwas nachvollziehbares aus der Arbeiterklasse, welches etwas Klarheit schafft und dazu ermuntern soll, die Verhältnisse neu zu überdenken.
 

Sollten uns noch ein paar Kriterien einfallen, werden wir sie hier veröffentlichen.

Dienstag, 23. September 2014

Klassentreffen #2 - Auge um Auge ( Out of the Furnace )



Braddock, Pennsylvania. Eindruckvollster Ort mit Industrieruinen und verlassenen Arbeitersiedlungen, aufgelegt, um den unaufhaltsamen Niedergang des ehemals prosperierenden "Manufacturing Belt" nachzuvollziehen. Dieser Gürtel zog sich entlang der Großen Seen von Chicago über Detroit, Cleveland und Pittsburgh. Die Region um Pittsburgh ( Braddock liegt 9 Meilen entfernt ) spezialisierte sich auf die Stahlproduktion. Mit der Abwanderung der Schwerindustrie ( Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie ) in billigproduzierende Länder ab den 60igern, begann die Region zu korrodieren und wurde sinnigerweise Anfang der 70iger Jahre in "Rust-Belt" umbenannt.

Scott Cooper, der mit seinem Regiedepüt " Crazy Hearts", Jeff Bridges zu seinem ersten Oscar verhalf, nahm sich für seinen zweiten Film eine Geschichte aus dem "Blue Collar" Millieu vor. "Blue Collar" ist der blaue Kragen der Arbeitskleidung von Arbeitern. Früher bekannt als "Schlossergwaund" oder "Blaugwandl", heute lässiger Hipsterstyle. Der Ort der Handlung ist Braddock. Originalschauplätze in einem Venedig des Industriezeitalters.






Der deutsche Verleihtitel "Auge um Auge" stellt das Rachemotiv in den Vordergrund. Wahrscheinlich um Besucher zu ködern, da dieser Film sich nur mit Zwang in eine Genre-Schablone einordnen läßt und dann auch noch in den USA floppte. Vielleicht ist es wirklich so banal, dass ein Film, wenn er für die Schublade der Kritiker zu groß ist, als anmaßend und aufgebläht verurteilt wird. Denn über die Kategorie "Thriller" wird ihm auch der Garaus gemacht. Hier fallen die üblichen Wörter wie "langatmig" und "inkonsequent".

Auf die Idee zu kommen, dass sich der Film dem Thrillermotiv nur oberflächlich bedient, um dahinter eine andere, ungleich weitreichendere Geschichte zu erzählen, dürfte vielen Kritikern, wenn nicht entgangen, dann halt überfordert haben. Dieser Film verhandelt, in unglaublich präzisen Szenen, die, im Sog des Untergangs der Schwerindustrie, sich mitauflösende Arbeiterkultur und ihren Ikonen von Männlichkeit.

"Out of the Furnace" ist kein romantisierendes Arbeiterepos. Schonungslos werden die Bilder aufgefächert. Alle Beteiligten wissen wie es steht. Nur, was gibt es sonst? Hoffnung? Als Antwort läßt Cooper in einer Bar den Fernseher im Hintergrund laufen. Ted Kennedy hält gerade eine flammende Rede für die Wahl von Barack Obama, er sei die Hoffnung für ein neues Amerika mit Wohlstand und Arbeit. Wir können es schaffen. Kein einziger in der Bar sah auf oder verändert eine Miene.

Christian Bale wird mit seiner Darstellung des Russell Baze hoch gelobt. Und wahrlich, ich sage euch, hier spielt er sich an die Spitze. Als wäre er in Braddock geboren und am Hochofen groß geworden, legt er die Figur so nuancenreich an, dass einem die Tränen kommen.
Überhaupt hat Cooper beim Personal nicht gespart und bis in die Nebenrollen großartige Darstellung garantiert: Casey Affleck, Woody Harrelson, Sam Shepard, Zoe Saldana, Willem Dafoe und Forest Whitaker.




In einigen Bildern erinnert der Film an Michael Cimino ( kein Wunder, in "The Deer Hunter" sind die Freunde auch Stahlarbeiter aus Pennsylvania ), dem mit "Heavens Gate" großes Unrecht geschah. Aus unerfindlichen Gründen wurde er damals von der Kritik zerrissen und fuhr ein desaströses Minus ein, sodass er für Jahre keine Aufträge mehr bekam. Heute wird "Heavens Gate" als Meisterwerk gesehen. Scott Cooper nimmt sich in "Out of the Furnace" den Dramen der Arbeiterklasse mit Sorgfalt und Einfühlung an. Auch wenn ihm der Erfolg an den Kassen ausblieb, meinen Respekt hat er allemal! Thank You!

Im Soundtrack wurde der Pearl Jam Song "Release" reingenommen:

...jetzt hat mein alter Grooveshark ausgelassen und ich mußte zu youtube um "Release" reinzustellen. Ich bereue es nicht. Ich fand diesen großartigen Trailer.

Samstag, 20. September 2014

Klassentreffen #1 - Sleaford Mods


Wann hattest du Gelegenheit auf die Herkunft aus der Arbeiterklasse stolz zu sein? Wie oft hast du es versucht zu leugnen? Versucht alle Spuren zu beseitigen? Hä? Mit Bourdieu die Ungerechtigkeit beklagt? Den Dialekt versucht auszumerzen?

Laptop, Mikrophon, Bier und Zorn. Gemma, mehr braucht es nicht. Robert Rotifer dürfte es irgendwann mal irgendwo geschrieben haben ( im Netz gibt es unzählige Hinweise ), daß der Britpop so darnieder liegt, weil sich nur mehr die Privatschüler ( Kinder die nicht mit unterpriveligierten Kindern zusammenkommen sollen/wollen, weil sie den Lernerfolg der zukünftigen Elite negativ beeinflußen könnten und deren Schulgeld die Eltern zahlen - sogenannte "upper-class" ) das Equipment für lässige Posen aus den Repertoire von Small Faces, The Who und The Jam vermischt mit ein paar Punk-Attitüden, leisten können. "Mom and Dad, könntet ihr mir eine Gitarre kaufen, damit ich meinen Frust über meine narzistischen Kränkungen in der Hitparade abarbeiten kann?" "Na klar doch, mach es so wie Lily Allen, die darauf noch stolz ist".
2010 sind angeblich 60 Prozent der britischen Charterfolge von Mittelständlern eingenommen worden. Und genauso klingt auch dieses Fadgas. Der Rest der Privatschüler kommentiert die Scheiße als Musikjournalisten, die dem Ganzen noch postmodernen Charme unterjubeln. Die Britpopper waren, zu großen Teilen und - zumindest am Anfang -, Anhänger der Blairschen Labourparty. Oh, welch ein Sündenfall Jarvis Cocker, Gallagher-Brüder und Damon Albarn. Nun, es sei euch nicht verziehen, aber diese Scharte wetzen die neuen Klassensprecher mit links wieder aus.



Andrew Fearn drückt einen Taste auf dem Laptop, geht zurück und wippt zurückgenommen mit einem Bier in der Hand zu den Beats von der Festplatte. Jason Williamson spuckt zornig in das Mikrophon mit einem wundervollen Slang, in dem Fuck nicht mit Fack, sondern als Fock ausgespuckt wird.



Keine Privatschulen in diesen Biographien, sondern Fabrik und Drogen. Der Label-Boss ist hauptberuflich Busfahrer, damit er sich dieses Hobby finanzieren kann. Jeder Song ein Schlag mit dem 5/8er Staffel, sägerauh. Endlich!!!!  
Fock you!