Sonntag, 8. Dezember 2013
Die inverse Avantgarde
Heute, am 8. Dezember 1943, wurde Jim Morrison geboren. Er wäre heute 70 Jahre alt geworden. Ich lese die Nachricht und schaue auf. Die Erinnerung an das Idol der frühen Zeit, legt mir einen Satz sentimentaler Bilder vor Augen: Im güldenen Lichte versuchten wir damals durchzubrechen, auf die andere Seite, fühlten den Drang und den Willen zur Freiheit, suchten jede Gelegenheit zur Grenzüberschreitung, nur um es ihm gleich zu tun. Ihm, dem Meister dunkler, geheimnisvoller Lyrik, deren Deutungen uns zu Mitwissenden erhöhte. Wenn wir uns auf den Scheißhäusern und Straßengräben die Seele aus dem Leib kotzten, wußten wir durch ihn, dass der Weg zur Freiheit kein Kindergeburtstag ist: No one here gets out alive!
Jim Morrison war für uns aber nur mehr ein Echo aus den mythischen Sixties. Er war bereits seit 8 Jahren tot. Ende der 70iger Jahre kam er zu uns als quasi Wiederauferstehung für die zweite Verwertungswelle. Wir waren mürbe. Die Musikindustrie überschwemmte uns mit K-tel´s Best of Samplern und wir spürten bereits das "No Future". Jim Morrison traf uns in einem Zustand schwerer Melancholie und tiefer Sehnsucht nach Möglichkeiten und Orientierung an. Er versprach uns kein Love and Peace, sondern ein Spiel mit dem Feuer. Die Musik von den Doors erweckte zumindest ansatzweise ein Gefühl von "Dissidenz". Wir waren bereit.
Wahrscheinlich "entdeckte" ich Jim Morrison durch ein anderes Medium. 1979 kam "Apocalypse Now" in die Kinos. In einer der besten Eröffnungssequenzen der Filmgeschichte, kommt aus der schwarzen Leinwand ein bedrohliches, flappendes Geräusch näher. Dann entfaltet sich ein Bild, von im Wind sanft wiegenden Palmen. Ein Urwald. Das rotierende Geräusch kreist hinten herum und zieht einen förmlich in die Szene. Es visualisiert sich als Hubschrauber, der das Bild von links nach rechts durchquert. Oranger Rauch steigt auf und die Doors beginnen mit dem zögerlichen Percussions- und Gitarrenintro von "The End". Nach dem zweiten Hubschrauber, von dem nur mehr die Kufen zu sehen sind, explodiert der Dschungel in rot-orangen Flammenblumen, von denen sich die Palmen im Vordergrund schwarz absetzen. Ein Bild von absurder Schönheit in das Jim Morrison einsetzt:
"...This is the end, beautiful friend, this is the end, my only friend, the end, of our elaborate plans, the end, of everything that stands, the end, no safety or surprise, the end..."
Gleichzeitig hat sich das Bild verändert. In der vom Rauch geschwärzten Leinwand züngeln Flammen und Helicopter schwirren aufgeregt herum. Aus dieser apokalyptischen Szene taucht in einer Überblendung das Gesicht von Captain Willard kopfüber auf. Der brennende Urwald und die Helicopter ziehen über sein Gesicht. In den weiteren Überblendungen kommt auch ein Götzenbild ins Bild. Gespenstisch beleuchtet durch die flackernden Feuer, starrt es ungerührt durch die Zeiten:"...Desperately in need of some stranger's hand, in a desperate land."
So kam Jim Morrison in mein Leben. Als archäologischer Fund einer sagenhaften Kultur. Er wurde neben Byron, Rimbaud und Konsorten zum Archetyp eines romantischen Freiheitsidols, dem erst durch das Scheitern die höchste Weihe zuteil wird.
Vielleicht wurden wir von dem Mythos rund um Jim Morrison etwas abgelenkt, vielleicht wollten wir auch nur spielen, wie es sein könnte, wenn wir uns nichts scheißen. Auf alle Fälle wachten wir einige Male auf der anderen Seite auf und begegneten der Kehrseite der Medaille. Es soll jetzt keiner sagen, er habe uns nicht gewarnt!
Er wußte auch, dass die Sommer immer vorbei sind.
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